Schenkenschanz und das Hochwasser

Die Rheinische Post von Mittwoch, dem 1. Februar 1995
berichtet im regionalen Teil:

Der Tag der Angst vor der großen Flut

Von LUDGER DIESTELKAMP

KREIS KLEVE. Für 5000 Menschen aus der Düffelt war gestern der Tag der Angst. Der Deich drohte gleich hinter der Grenze bei Kekerdom und Ooij zu brechen, der Rheinpegel hatte mit 9,82 Meter bei Emmerich den Jahrhundertrekord von 1926 überschritten. Die Bewohner schafften ihr Hab und Gut weg – die Familien brachten Angehörige aus dem bedrohten Gebiet zu Verwandten oder Bekannten. erstmals seit Menschengedenken mußte auch Schenkenschanz geräumt werden – zurück blieben lediglich 30 Männer, die ihren Heimatort weiter gegen eindringendes Hochwasser schützen wollten. Auf Anordnung des Kreises mußten 10000 Stück Vieh auf höhergelegene Weiden geschafft werden. Gestern hielten die Dämme, Entwarnung mochten die Behörden aber nicht geben.

Sicheren Boden unter den Füßen
Sicheren Boden unter den Füßen: Etwa 90 Senioren, Kinder und Frauen wurden mit einem Ponton von Pionieren der Bundeswehr von Schenkenschanz auf das sichere Ufer nach Düffelward gebracht.

RP-Foto: Gottfried Evers

»Ich hoffe, die ganze Mühe war vergebens.« Hermann Oppenberg hat den Humor noch nicht verloren, als der Landwirt aus Niel seine 200 Rinder und das Futter verlädt. Auch er arbeitete wie 86 weitere Bauern aus der Düffelt fieberhaft, um die Tiere vor dem Ertrinken im Hochwasser zu schützen. Den ganzen Tag über ratterten deshalb gestern die Traktoren mit Hängern und die georderten Spediteure durch die Niederung in benachbarte Orte. Denn bei einem Dammbruch hätte die Bergung der Menschen absoluten Vorrang.

Flucht in höhere Etagen

In der Nacht zu Dienstag rollte bereits eine andere Karawane, als nämlich die Bewohner der Dörfer ihr Hab und Gut in Sicherheit gebracht hatten. In der Nacht zu Dienstag organisierten die Menschen Viehanhänger, Kleinbusse oder Lkw, um ihre Habe vor den Wassermassen zu schützen. In wenigen Stunden räumten viele Menschen ihren Hausrat aus oder brachten ihn in höher gelegene Etagen. Verwandte und Bekannte packten wie Nachbarn zu, die sich untereinander halfen. Zwar dauert es laut Behördenangaben nach einem Deichbruch noch bis zu zehn Stunden, ehe die Flut die Häuser erreicht, doch die Bewohner der Düffelt packte die pure Angst, als sie die Bilder von überschwemmten Gebäuden und verzweifelten Menschen sahen. Und jeder Wetterbericht wurde für die Menschen aus der Niederung zur Schicksalsmeldung. ...

 

Die NRZ von Mittwoch, dem 1. Februar 1995 berichtet:

30 Männer kämpfen um ihre Insel

Schenkenschanz wurde evakuiert   Von NRZ-Mitarbeiter MICHAEL EVERS

KLEVE-SCHENKENSCHANZ. Die 120 Bewohner der Halbinsel Schenkenschanz nördlich von Kleve sind es gewohnt, daß ihr Ort bei Hochwasser nur noch übers Wasser erreichbar ist. Doch jetzt ist der Katastrophenfall in Kranenburg und den umliegenden Ortschaften hinter dem Rheindeich da. Kleves Bürgermeister setzte nach Schenkenschanz über, um die »Schänzer« zum Verlassen ihrer Insel zu bewegen. Nach einem möglichen Deichbruch im nahen Holland wäre eine Versorgung nur noch aus der Luft möglich.

Kampf gegen das Hochwasser
Noch haben die Schenkenschanzer den Kampf gegen das Hochwasser nicht aufgegeben.

Frauen und Kinder fuhren mit der Bundeswehr ans »Festland«, während etwa 30 Männer auf der Schanz ausharren. Einen Pegel von zehn Metern hält ihre Schutzmauer. Knapp zwanzig Zentimeter darunter stagnierten gestern die Fluten.

Die Menschen müssen ihr Zuhause verlassen
Die Menschen müssen ihr Zuhause verlassen.

Am Morgen erreicht der Emmericher Rheinpegel 9,80 Meter. Nur ungern lassen die Schänzer sich vom Bürgermeister zum Verlassen ihrer »Schanz« überreden. »Pack mal den Koffer bis zum Wochenende«, hört Agnes Heiting von ihrem Mann. Zusammen mit anderen Männern will er auf der Insel ausharren und warten. In der Klever Berufsschule, wo das Rote Kreuz Schlafplätze für 360 Menschen hergerichtet hat, werden Frauen und Kinder aus Schenkenschanz mit Kaffee empfangen. Zum Übernachten haben sich aber erst zwei angemeldet. ...

 

Die NRZ von Mittwoch, dem 1. Februar 1995 berichtet an anderer Stelle:

Bange Frage: Halten die Rheindeiche?

Emmericher Pegel scheint stabil

KREIS KLEVE. Notunterkünfte sind hergerichtet, Bewohner der Niederungen haben Hab und Gut weggeschafft und ihre Häuser gesichert: Während die Bevölkerung sich auf eine mögliche Überschwemmung vorbereitet, geht das Leben – soweit eben möglich – gewohnt weiter. Die Wasserschutzpolizei Emmerich ging gestern nachmittag davon aus, daß mit einem Pegelstand von 9,81 Meter die Spitze in etwa erreicht sei. Nach der Warnung der Bevölkerung war laut Kreispressesprecher Eduard Großkämper eine Evakuierung gestern nicht nötig. Die Mehrzahl der Schänzer mußte allerdings die Insel verlassen.

Wie ein Patient auf der Intensivstation wurde er gestern beobachtet: Der Pegelstand des Rheins und natürlich der Deich, dem die Niederländer am Montag das Mißtrauen ausgeprochen hatten. Der Rheinpegel schien sich nach Auskunft der Wasserschutzpolizei zu stabilisieren. Kreispressesprecher Eduard Großkämper rechnetet für heute mit einem Anstieg auf höchstens 9,85 Meter. ...

... Für den Ernstfall steht die Bundewehr im Kreis Kleve mit 350 Mann, 50 Fahrzeugen und Bussen bereit. Auf Salmorth und bei Rees evakuierten die Emmericher Pioniere das Vieh von eingeschlossenen Höfen. Gestern holten sie auch Frauen und Kinder vom Ort Schenkenschanz. Etwa 30 Männer blieben auf der Insel zurück. Wenn der Deich bricht, stehen Hubschrauber und ein AWACS-Aufklärungsflugzeug zur Verfügung. Bei der Polizei gib's Urlaubsperre und Unterstützung durch 20 zusätzliche Beamte. Sie regeln den Verkehr und sollen Plünderungen verhindern. Bricht der Deich, dann stehen weitere Hundertschaften bereit. ...

Schänzer in der Klever Berufsschule
Die evakuierten Schänzer wurden gestern morgen zum Rot-Kreuz-Lager in die Klever Berufsschule gebracht; fast alle fanden ein privates Quartier.

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