Schenkenschanz und das Hochwasser

Die Rheinische Post von Freitag, dem 3. Februar 1995
berichtet im regionalen Teil:

Insulaner nehmen ihre Lage mit Humor

Von LUDGER DIESTELKAMP

KLEVE. Die vier Kästen Bier, die die Bundeswehr mit einem Ponton brachte, waren ein sichtbares Zeichen: Sogar in der vom Hochwasser eingekesselten historischen Festungsanlage Schenkenschanz bei Kleve entspannt sich die Lage. Nach drei kräfteraubenden Tagen und Nächten genehmigten sich die 30 ausharrenden Männer auf der Insel gestern nach dem deftigen Mittagessen erstmals wieder einen Schluck aus der Flasche. Am Dienstag morgen waren erstmals seit Menschengedenken etwa 90 Kinder, Frauen, Alte und Kranke mit einer Fähre der Bundeswehr zum Hauptdeich nach Düffelward übergesetzt worden. Es war die einzige Evakuierung in der Klever Niederung. 5000 weitere Menschen hätten ihre Häuser verlassen müssen, wenn die Deiche in den benachbarten Niederlanden bei Nimwegen gebrochen wären. Heute nachmittag werden möglicherweise die vorwiegend bei Verwandten untergebrachten Insulaner in ihr Heimatdorf zurückkehren. Der Krisenstab in der Kreisverwaltung erwägt sogar, heute den Katastrophenalarm für die gesamte Niederung aufzuheben.

Auf Sandsäcken statt auf Stroh
liegen die Kälber
Auf Sandsäcken statt auf Stroh liegen die Kälber bei einem Landwirt in der Dorfschaft Schenkenschanz.

RP-Foto: Gottfried Evers

»Wir leben noch!« Mit sarkastischem Witz begrüßten die Insulaner die Bundeswehrsoldaten. 3500 Sandsäcke haben die Männer in den vergangenen Tagen gefüllt. Die zivile Truppe kennt jeden Zentimeter und jede Schwachstelle der etwa 400 Meter langen Deichmauer und der Wälle. Würde der Ring um die Schanz – im 16. Jahrhundert als Bollwerk gegen Spanier und Franzosen errichtet – brechen, wäre in wenigen Minuten das Wasser über eineinhalb Meter hoch. Deshalb sichern die Bewohner der Festung das 67 Jahre alte und teilweise morsche Mauerwerk mit Sandsäcken gegen das eindringende Wasser. Die Männer haben in den vergangenen Tagen und Nächten auch etliche Keller auf dem 40000 Quadratmeter großen Eiland ausgepumpt, das der an dieser Stelle sieben Kilometer breite Strom umzingelt hat.

Der Pegel sinkt, die Stimmung steigt
Der Pegel sinkt, die Stimmung steigt: Eine auf der Insel gebliebene Frau aus Schenkenschanz serviert Würstchen mit Sauerkraut.

RP-Foto: Gottfried Evers

»Geschlafen haben wir in den vewrgangenen Nächten nicht. Ich habe lediglich stundenweise auf der Couch geruht«, sagt Manfred Schimmler. [Berichtigung von mir: Hier muss es heißen Manfred Schirmel.] Zu den Junioren der Truppe, die Brandmeister Heiner Evers von der Freiwilligen Feuerwehr eingesetzt wird, gehört der 19jährige Holger Beem. »Natürlich vermißt er seine Mutter und seine Schwester, schließlich muß er jetzt den Abwasch machen«, lacht Vater Jürgen. Dessen Frau Elvira und seine Tochter Christiane sind auf dem sicheren Festland bei Kleve untergebracht. Gegen die Isolierung von der Außenwelt haben die Frauen ihre Männer gut vorbereitet: mit gefüllten Gefriertruhen, in denen auch die Frühstücksbrötchen liegen. Selbstverständlich seien sie besorgt gewesen, »aber in die Hosen haben wir uns nicht gemacht«, schildert Paul Schweers, die Situation bei den selbstbewußten »Schänzern«.

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